Beeindruckende Filme mit interessantem Rahmenprogramm in lockerer und fröhlicher Atmosphäre
Anfang Juli fand in Osnabrück wieder einmal das Filmfest des neuen japanischen Films statt. In der Vergangenheit hatte das Festival bereits an verschiedenen Orten in der Stadt stattgefunden. Nach dem Blue Note und dem Haus der Jugend fanden die Filmvorführungen wie auch das Rahmenprogramm dieses Mal in der Lagerhalle statt.
Seitens des Festivalleitung war freundlicherweise ein Kontingent für KUKUK-Nutzer*innen zu Verfügung gestellt. Nachdem ich mir die Inhaltsbeschreibungen der Filme angesehen hatte, kam ich etwas in Bredouille, da ich mehr Filme sehen wollte, als es meine Zeit zuließ.
So konnte ich mich erst am Samstag ins „Festivalgetümmel“ stürzen und sah mir zunächst „Blue Giant“ an. An dieser Stelle muss ich festhalten, dass es dieses Format leider nur hergibt, alle Filme in Kürze anzusprechen. Zusammenfassend kann ich aber sagen, dass die Auswahl sehr sorgfältig kuratiert war — alle Filme haben mich berührt, gefesselt, in ihren Bann gezogen und gerührt. In „Blue Giant“ möchte ein in der Provinz lebender heranwachsender Nachwuchsmusiker der beste Saxophonist der Welt werden. Was erstmal nach einer recht banalen Story klingt, schon gar nicht innovativ. Und doch: der Musiker tut sich mit einem Pianisten und einem Schlagzeuger zu einem Jazz-Trio zusammen. Die drei Musiker verfolgen dabei ganz unterschiedliche Pläne, die sie in der Band verwirklichen wollen. Diese Pläne schließen einander in Konsequenz gelebt sogar aus und so läuft die Zeit für die Band ab. Gleichzeitig ergänzen sich die einzelnen Wege auch. Die Erzählweise läßt es zu, alle Prinzipien gleichermaßen nachvollziehen und auch respektieren zu können, dieser Respekt verwirklicht sich ebenso in den Handlungen der Protagonisten. Diese Widersprüchlichkeit und Ambivalenz gelten lassen zu können, ist für mich typisch für die ganzheitlichere Erzählkunst des japanischen Films. Die Geschichten werden dadurch spannender und lebensnaher. Und sie berühren und regen damit an, nachzudenken und vielleicht sogar den eigenen Horizont zu erweitern…
Thematisch ganz anders als „Blue Giant“ waren auch die anderen beiden Filme, die ich mir angesehen habe: „Suzume“ wirkt auf den ersten Blick wie ein Fantasyfilm, bei dem klassisch Böses Gutes bedroht. Im Verlaufe des Filmes wird jedoch deutlich, dass die Protagonistin ein traumatisches Erlebnis verarbeitet und im Film daher eine sehr tragisches Note mitschwingt.
Der dritte Film „River“, den ich mir am Sonntag ansehen konnte, war als Matinée konzipiert. Die Filmvorführung fand im Kombination mit einem Brunch statt — eine Tradition des Filmfestes: Der Film wird zweimal pausiert. Zu Beginn konnte man sich an einem umfangreichen Buffet bedienen und während des Films genüßlich schlemmen — und auch schmatzen und schlürfen. In den beiden Pausen konnte man sich je nach Bedarf Nachschub holen. Eine sehr schöne Tradition! Hierbei sei anzumerken, dass dieses Erlebnis — wie auch die Workshops, auf die ich noch eingehen werde — nicht “KUKUKfähig“ sind. In der lustigen Sci-Fi-Groteske „River“ sind die Handelnden in einer Zeitschleife gefangen und versuchen, in der zweiminütigen Schleife herauszufinden, was überhaupt geschehen ist und wie man aus der Schleife entkommen kann. Herrlich! Mir fiel dabei auf, dass wir, während wir einen Film über eine Zeitschleife schauten, ebenfalls in einer Art Schleife waren: Essen holen — Film gucken — Essen holen — Film gucken — Essen holen — Film gucken. Auch bei diesem Film konnte man eine typische Eigenart der speziellen Erzählweise aufzeigen: zwar im Sinne einer Screwball-Komödie an sich sehr turbulent/witzig, gibt es sehr drastische, explizite, unvermittelte Szenen, die man nach normalen Sehgewohnheiten nicht erwarten würde…
In netten Gesprächen, für das sich die Organisatoren des Festivals ausgiebig Zeit nahmen, konnte ich noch einiges zum Rahmenprogramm und der Entstehung dieses besonderen Ereignisses in der Osnabrücker Kulturszene in Erfahrung bringen. Stets in Wandel begriffen, gibt es mit jeder Ausgabe des Festivals andere Workshops. War es in der Vergangenheit eine Performances japanischer Taiko-Trommler oder Kampfkünstler oder Kalligraphie-Workshops, konnte man in dieser Ausgabe des Festivals japanisch Lernen und Mangas Zeichnen. In der gegebenen Zeit wurden Grundlagen der japanischen Schrift vermittelt — es gibt zum Beispiel unterschiedliche Zeichensysteme — und die Teilnehmer*innen wurden befähigt, den eigenen Namen in japanischen Schriftzeichen zu schreiben. Hhmm… wie mein Name wohl aussieht? Im Zeichen-Workshop war es Teilnehmenden den eigenen Fähigkeiten entsprechend möglich, einfache Frisuren oder Augenpartien zu gestalten bis hin zu komplexeren Aufgaben, wie der Komposition figürlicher Proportionen oder der Inszenierung gezeichneter Charaktere.
Das Festival geht auf einen gemeinsamen Berlinale-Besuch 1998 zurück, bei dem der Gründer Gunnar Kählke mit einer Freundin unabhängig voneinander für sich ein Programm aussuchten — nur um sich anschließend begeistert von den vielen tollen Anime-Filmen zu berichten, die sie gesehen hatten. Daraus gebar in der Folge die Idee, ein solches Angebot auch für Osnabrück zu etablieren — der Beginn des Festival des neuen japanischen Films!
Mit dieser Ausgabe des Filmfestes wurde auch eine Art Übergang eingeleitet: Der Initiator und langjährige Organisator des Festivals, Gunnar Kählke hat die Leitung weitergegeben und das ambitionierte und sehr nahbare Team bestehend aus Karina Hermes, Astrid Heuten, Carina Butkus, Andreas Kühne wird die Arbeit fortsetzen — das bedeutet für die nächste Zeit vor Allem erstmal die Abwicklung des inzwischen vergangenen Festivals. Dennoch geht es trotz des zweijährigen Turnus auch alsbald weiter mit der Sichtung neuer Beiträge für die nächste Ausgabe. Das Team ermunterte in einer kleinen Ansprache vor „River“ Interessierte herzlich dazu, an der Organisation der 13. Auflage teilzuhaben. Vielleicht hatten Sie, hattet Ihr ja immer schon mal Lust, ein Filmfest mitzuorganisieren… Auf der Homepage findet sich die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme — ich selbst habe angefragt!
Für mich hat dieses Filmfest in der Osnabrücker Kulturlandschaft eine Sonderstellung, mit einem gleichwohl routinierten, etablierten wie auch intimen und unprätentiösen Charakter — vielleicht hängt dies mit dem Zwei-Jahres-Rhythmus und der kulturellen Andersartigkeit zusammen. An dieser Stelle ist auch zu erwähnen, dass es im „Pausen-Jahr“ ein Matinée-Ereignis wie das Obige organisiert wird, an dem ein einzelner Film zum Brunchen vorgeführt wird — eine gute Gelegenheit zum „reinschnuppern“ für Interessierte oder um die Zeit bis zum nächsten Festival zu überbrücken für Fans!
TEXT Chris Ellermann
FOTOS & ABBILDUNG Andreas Kühne