Bird | Abschluss
Zum Abschluss schaute ich mir am Sonntag dann auch „Bird“ im Hasetorkino an. Dieses im Jahr 2024 veröffentlichte Sozialdrama der britischen Regisseurin Andrea Arnold bildet den Abschluss des Filmfestes. Das Filmtheater Hasetor ist bis auf den letzten Platz gefüllt und die gute, gelöste Stimmung spiegelt die vielen schönen Ereignisse der vergangenen Woche wider – passt in jedem Fall gut zu meiner eigenen Stimmung.
So heiter startet vordergründig auch „Bird“, denn die junge Protagonistin Bailey hängt zu Beginn in ihrer Freizeit auf einer Brücke ab, und nimmt Videos von einer fliegenden Möwe auf. In diese kontemplative Situation fällt jedoch lautstark gestikulierend auf einem E-Roller fahrend Baileys Vater Bug ein und fordert sie auf, mitzukommen.
Selbst noch ein Kind, als er Vater wurde, kann er die Vaterrolle, trotz Bemühens nur eingeschränkt ausfüllen. Gleichzeitig mit der schockierenden Nachricht, dass er seine aktuelle Freundin nach nur einem Monat Beziehung heiraten will, eröffnet er seiner Tochter, dass er mittels einer halluzinogenen Schleim absondernden Kröte ein Geschäftsmodell als Drogendealer anstrebt.
Es ist schwierig zu beschreiben, wie sich der Film von hier weiterentwickelt. Bailey entflieht der Situation und begibt sich in einen naheliegendes Wiesen- und Moorgebiet. Dort trifft sie auf einen einige Jahre älteren Mann, der sich Bird nennt. Dieser wirkt befremdlich, trägt einen Secondhandpullover und einen Rock und spricht mit einem Akzent und passt damit so gar nicht in den ortsüblichen Kleidungs- und Verhaltensstil der Siedlung, in der Bailey lebt. Es ist schwierig einzuordnen, ob Bird eine Bedrohung oder eine Hilfe darstellt. Trotzdem entwickelt sich ein seitens Bailey im Verlaufe der Handlung ein Vertrauensverhältnis zu Bird.
Der Film folgt im Wesentlichen diesen beiden Figuren durch die raue Realität von Baileys Leben. Exzessive Gewalt seitens Baileys Stiefvater Skate, die Suche von Bird nach seiner Mutter, die Hochzeitvorbereitungen bilden einige der Ereignisse, mit denen Bailey mit ihrem neuen Vertrauten Bird konfrontiert werden. Ihr wenig älterer Bruder Hunter versucht mit seiner Gang Täter, die nachweislich häusliche Gewalt ausgeübt haben, gewaltsam in Selbstjustiz zur Rechenschaft zu ziehen. Auch Bailey beauftragt ihn, Skate auf dieselbe Weise zu bestrafen.
Der sich entspinnenden Handlung scheint kein roter Faden zugrunde zu liegen, die Ereignisse fallen gewissermaßen ineinander. Der Film macht den Eindruck einer Millieustudie, die anhand der Akteure gesellschaftliche Verhältnisse abbildet. Dazu kommt ein fantastisches Element, denn Bird verwandelt sich in einer Szene, in der Bailey, ihre Mutter und ihre Halbgeschwister von Skate bedroht und attackiert werden unvermittelt in eine Art Mischwesen aus Mensch und zunehmend Vogel und kämpft mit Skate.
Obschon der Film einmal mehr eher eine konservative Erzählweise vermieden hat, hinterlässt er in mir kein Empfinden von Sinnlosigkeit. Es fühlt sich an, wie ein Blick in ein wildes, raues Leben einer Heranwachsenden, die mit so ganz anderen Herausforderungen umgehen muss, als ich dies in meiner Jugend musste. Trotz ihrer eigenen Vernachlässigung durch ihre überforderten Eltern, ist sie in der Lage Verantwortung zu übernehmen, sorgt sich um ihren Vater, wegen der überstürzten Hochzeit, verhindert, dass ihr Bruder durchbrennt, greift in den gewaltsamen Übergriff ihres Stiefvaters gegenüber ihrer Mutter ein…
Unterstützend zur rasanten Kameraführung wirkt der sorgfältig ausgewählte Soundtrack, bei dem insbesondere Blurs „The Universal“ als Hochzeitsständchen von Bug performt bei mir nachklingt und irgendwie total passt
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Ein sehr schöner, lebendiger Abschluss des Filmfestes mit viel blutenden Herzen, Unvollkommenheit und gleichzeitig viel Menschlichkeit, Wärme und Hoffnung.
Abschluss
In ihren Abschlussbemerkungen verwies Frau Scheck unter Berücksichtigung der geleisteten Arbeit voll Anerkennung und Dank auf ihr Team. Man merkte ihren Worten die Anstrengungen und Mühen an, die diese Woche für mich als Besucher so angenehm haben werden lassen. Gleichzeitig zeigten ihre Worte große Motivation, im kommenden Jahr mit ihrem Team erneut ein so inspirierendes Kulturereignis zu organisieren.
Bedauerlicherweise habe ich es nicht geschafft, in der Woche ins Heinz-Fitschen-Haus zu fahren, um mir auch dort einen Film anzuschauen, eine schöner Aspekt, des Filmfestkonzeptes, gewissermaßen aufsuchend, das Filmfest auch in andere Stadtteile zu tragen. Vielleicht gelingt dies in der nächsten Ausgabe. Die Filme haben mir, wie erwartet nicht alle gefallen, aber ich kann den Besuch der nächsten Ausgabe nur wiederum wärmstens empfehlen: Ich habe sehr viele Berührungen mit meinem persönlichen Tellerrand erfahren und damit natürlich sehr viel Stoff zum Nachdenken erhalten.
Das bedeutet natürlich nicht, dass ich darüber hinaus nicht auch viel Spaß hatte und auch das Flair des Festivals hat eine elektrisierende Wirkung. Die Offenheit des Festivals und seiner Protagonist*innen, ermöglicht Gespräche mit den Filmschaffenden und damit einzigartige Möglichkeiten, die seitens der Leitung auch ausdrücklich erwünscht sind.
Ich freue mich schon auf die 2025er Version des Filmfestes!
FOTOS & ABBILDUNG Filmfest Osnabrück