16. Deutsch-Türkischer Begegnungsabend

26. Juni 2024

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Zu Gast an den Dardanellen

 

Am 04.06.24 fand — erneut im Spitzboden der Lagerhalle — ein weiterer vom Städtepartnerschaftsbüro veranstalteter Begegnungsabend statt.

Durch die Veranstaltung führte an diesem Abend Ethem Ersin Ceylan — der amtierende Städtebotschafter aus dem türkischen Çanakkale.

Im sehr gut gefüllten Spitzboden erlebten die Besucher*innen einmal mehr ein abwechslungsreiches und kurzweiliges Programm, welches mittels unterschiedlicher Beiträge die Entstehung und Entwicklung bis zur aktuellen Situation der Partnerschaft nachzeichnete. Dabei wurden die einzelnen Gespräche und Präsentationen mit musikalischen Beiträgen umrahmt. Abgerundet mit kulinarischen Besonderheiten aus der Region Çanakkale entstand auch an diesem Abend wieder eine anheimelnde, beschwingte Atmosphäre, in der man sich ein wenig als Gast an den türkischen Dardanellen fühlte — übrigens: Wie Istanbul liegt auch Çanakkale auf zwei Kontinenten, da ein kleines Siedlungsgebiet der Stadt auf der europäischen Seite der Meerenge entstanden ist.

Zunächst stimmte Jens Koopmann vom Städtepartnerschaftsbüro auf den Abend ein und hob dabei auch die Bedeutung der Partnerschaft — gerade zu einer Zeit, in der die politischen Beziehungen nicht als konfliktfrei bezeichnet werden können – hervor.

 

Der 25jährige studierte Lehrer Ethem Çeylan begann das Programm mit einem Imagefilm über Çanakkale, der den Eindruck eines bunten Oberzentrums an den Dardanellen vermittelt.
Die Stadt, deren Größe, gemessen an der Einwohnerzahl, mit der Osnabrücks vergleichbar ist, ist im Wesentlichen von Handel und Tourismus geprägt. Ein besonders prägendes touristisches Merkmal stellt die Ausgrabungsstätte des altertümlichen Trojas dar, die ca. 15km südlich von Çanakkale liegt. Die Ruinen, die dort freigelegt wurden, gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Ausgrabungsstätte und ein zugehöriges Museum ziehen viele Touristen in die Region. Interessant ist, dass die Ausgrabungen ursprünglich unter deutscher Anleitung durchgeführt wurden: Heinrich Schliemann führte dort die ersten Grabungen. Später wurden die Ausgrabungen vom Tübinger Archäologieprofessor Manfred Korfmann weitergeführt. Letzterer fühlte sich der Türkei sehr verbunden und nahm sogar die türkische Staatsbürgerschaft an. Zwischen den Zeilen konnte man Ceylan’s Bericht auch durchaus ambivalente Töne entnehmen, denn insbesondere Schliemann hatte den bei den Ausgrabungen entdeckten vermeintlichen „Schatz des Priamos“ nach Deutschland ausgeführt, von wo aus er nach dem zweiten Weltkrieg als Beutekunst nach Russland verbracht wurde und wo er in weiten Teilen auch heute noch verblieben ist. Korfmann seinerseits hatte sich vehement für die Rückgabe der Kunstwerke eingesetzt. Aufgrund seiner Verdienste wurde Manfred „Osman“ Korfmann zum Ehrenbürger Çanakkales ernannt.
Die Kenntnis über diese dargestellten Zusammenhänge sind ein erneuter Beleg für diese interessanten Abende, die den „Osnabrücker Horizont“ erweitern.

 

Weitere geschichtlich besonders hervorzuhebende Ereignisse der Region, wie die „Schlacht von Gallipoli“ (im Türkischen: Çanakkale Savaşi — „Krieg von Çanakkale“) wurden umfangreich von Ceylan vorgestellt. Im ersten Weltkrieg hatten die dort rivalisierenden Allianzen um die Vorherrschaft über die strategisch bedeutsame Meerenge ein Jahr lang gekämpft. In den Gefechten fielen 100.000 Soldaten und weitere 250.000 wurden verletzt. In der Türkei hat diese Schlacht, an der auch eine kleine Zahl deutscher Soldaten auf Seiten der Türken mitkämpften, bis heute eine hohe Bedeutung.

 

Im weiteren Verlauf der Veranstaltung stellte der eigens für diese Veranstaltung angereiste Atilla Asçi die Entstehung der städtepartnerschaftlichen Beziehungen vor: Er hatte in Osnabrück studiert und sich in dieser Zeit hier stets ehrenamtlich engagiert. 1985 gelang es ihm als zweiten Vorsitzenden des Jugendrings, eine umfangreiche Förderung in eine Art Aufbauprojekt in sein Heimatdorf fließen zu lassen. Die mitgereisten deutschen Jugendlichen halfen bei der Instandsetzung einer Kaimauer und konnten daneben gegen Kost und Logis die Region kennenlernen. Sehr anschaulich berichtete Asçi von den kargen Bedingungen und gab mit einem Augenzwinkern preis, dass die Gruppe der Jugendlichen den Spitznamen OSAS erhalten hatten — Attila’s Osnabrücker Sklaven. Dieses Projekt wurde in den folgenden Jahren wiederholt und verstetigt (die Bedingungen verbesserten sich natürlich zunehmend) und mündete 1994 zunächst in einer Städtefreundschaft. 2004 wurde dann der Städtepartnerschaftsvertrag unterzeichnet. Seit 2005 werden gegenseitig Botschafter*innen entsandt. Besonders prägend für den Aufbau der Partnerschaft war auf türkischer Seite Ülgür Gökhan, der über zwanzig Jahre Bürgermeister Çanakkales war. Auf Osnabrücker Seite ist in diesem Zusammenhang der langjährige OB Fip zu nennen, nachdem in Anerkennung sogar eine Straße in Çanakkale benannt wurde: Baskan-Fip-Caddesi.

 

Sehr interessant war auch die Vorstellung eines Projektes, das der zugeschaltete Leiter des Teams Jugendbildung der Stadt Osnabrück, Mathias Owerrin im Gespräch mit Ethem Çeylan vorstellte: In einer Begegnungswoche, deren erste Hälfte in der Türkei und die zweite Hälfte in Osnabrück durchgeführt wird, werden die teilnehmenden Jugendlichen als Jugendausbilder im Bereich internationaler Verständigung geschult — mittelfristig soll in Çanakkale ein Jugendparlament gegründet werden.

 

Wie auch an den vorangegangen Abenden hatte der Städtebotschafter für eine musikalischen Rahmen gesorgt: Hatte ich beim letzten Begegnungsabend noch mit ihm am Tisch gesessen und Quizfragen über die Gegebenheiten der deutsch-französischen Beziehungen beantwortet, stand der Osnabrücker Musikpädagoge Andreas Ottmer dieses Mal selbst auf der Bühne, um seine erst neunjährige Gitarrenschülerin Betül Rüya Yilmaz in Spiel und Gesang zu begleiten. Diese fühlte sich sichtlich wohl und es war sehr berührend, ihr bei ihrem Auftritt zuhören und -schauen zu können.
Daneben trat noch die Osnabrückerin Yeliz Sever auf, die seit einigen Jahren selbstkomponierte Poplieder veröffentlicht und zum Anlass des Abends passend, das erste Mal öffentlich auch auf Türkisch gesungen hat.

Nach einer guten Stunde endete die Veranstaltung und hat einen vielschichtigen und kurzweiligen Eindruck vermittelt, wie es um die Beziehungen zwischen Çanakkale und Osnabrück steht.

 

Dies war nun mein dritter Begegnungsabend. Ich kann nur empfehlen, dort einmal teilzunehmen. Diese Abende komplettieren für mich weiter mein Bild Osnabrücks und liefern – neben den Informationen über das Leben von Menschen in anderen Regionen – viele erwähnenswerte, liebenswerte Episoden zwischenmenschlicher Beziehungen und sind damit ein schöner Beweis für den Zweck solcher Städtepartnerschaften.

 

TEXT Chris Ellermann

FOTOS Jens Koopmann