KI und Kreativität | Maydegol
Am Mittwoch ging es für mich zunächst zu der Podiumsdiskussion KI und Kreativität. Die ca. 50 Besuchenden im Blue Note erhielten Sichtweisen und Einsichten der Diskussuionsteilnehmenden. Die ausweislich kompetent und hochdekoriert besetzte Runde diskutierte im Rahmen der Ausstellung „Künstliche Intelligenz: Die letzte Erfindung der Menschheit“ des Museum für Industriekultur. Übereinstimmend erklärten die Diskutierenden, die Autorin und Übersetzerin – Isabel Cole, der Professor für Pop-Musik – Sascha Wienhausen und der Regisseur und Produzent Radek Wegrzyn KI als eine große Herausforderung und gleichzeitig auch als eine Entwicklung, die sich nicht mehr wird rückgängig machen lassen.
Letztgenannter hat mich sehr gereizt, vor Allem durch sein Auftreten.
Die drei Diskutierenden positionierten sich, nach einer Einführung durch die Moderatorin Dr. Tabea Golgath mit eigenen kurzen Beiträgen zum Thema. Es gab je einen KI-erzeugten Film, ein Lied und die Übersetzung eines Textes.
Mit zunehmendem Verlauf dominierte Wegrzyn die Diskussion und auch wenn er eine differenzierte Sichtweise zur Schau stellte, war ihm seine Begeisterung deutlich anzumerken. Gleich zu Beginn lobte er die Vorteile von KI für seine Arbeit. Er sei mit seiner Produktionsfirma in Niedersachsen ansässig – per se kein El Dorado für Filmemacher und allgemein sei es nicht möglich in technisch aufwendigeren Produktionen im internationalen Vergleich konkurrenzfähig zu drehen, da müsste man, so sagte er bezeichnenderweise – und jetzt kommt es – schon sehr viel Kreativität aufbringen.
Eine Aussage eines Kreativen, die man für sich sprechen lassen kann.
In der Folge reihte er Argument an Argument, die seine Erzählung zu stärken schienen. Ich hätte mir gewünscht, dass es seitens der Moderation mehr kritisches Nachfragen gegeben hätte und auch von Herrn Wienhausen hätte ich mir mehr Initiative gewünscht. Dies gilt nicht für Frau Cole, die nüchtern, gleichwohl emphatisch, verschiedene Kritikpunkte an den von Wegrzyn beschriebenen sich abzeichnenden oder bereits vollzogenen Entwicklungen in den Fokus rückte.
Ist es wichtig, dass Frau Cole nüchtern und empathisch berichtete? Insofern ja, als dies die für mich die dem Thema angemessene Ernsthaftigkeit ausdrückte – wo hingegen Herr Wegrzyn alles, was er sagte, mit einem heiteren Lächeln untermalte. Selbst Äußerungen, wie seine Sorge, perspektivisch die Gefahr zu sehen, dass die Menschen aufgrund von KI irgendwann als ausschließliche Konsumenten apathisch in einer Liege liegend ihr Dasein fristen könnten, äußerte mit einem triumphierenden Lächeln. An Stellen wie der Beschriebenen passte der Ton überhaupt nicht zum Inhalt und lies mich befremdet zurück.
Davon abgesehen war die Diskussion für mich aber sehr informativ und anregend, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Zum Beispiel war neu für mich, dass es eine ungeklärte Debatte darüber gibt, wie mit den Rechten der genutzten Quellen mittels ChatGPT-erstellter Inhalte umzugehen ist. Eine weiterhin neue Information war für mich, dass die Nutzung solcher KI-Programme sehr energieaufwendig ist und somit über kurz oder lang ein Klassenkonflikt hinsichtlich der Nutzung entstehen könnte. Frau Cole brachte auch die drohende und bereits einsetzende Abnahme von Aufträgen für Übersetzer*innen, Illustratoren,… ins Spiel. Weiterhin wurden Entwicklungen hin zu zunehmender Vereinsamung in der Gesellschaft oder Verlust von Identität skizziert.
Nach einer Stunde endete das interessante Gespräch. Das Plenum saß sehr eng beieinander. Da die Diskutanten inhaltlich unterschiedliche Positionen besetzten wäre es der Diskussion vielleicht zugutegekommen, wenn jede/r mehr Raum gehabt hätte. Wenn ich mit jemandem diskutiere und dann auch inhaltlich angehe, sitze ich der Person ja auch nicht – sprichwörtlich – auf dem Schoß, sondern halte einen angemessenen Abstand ein…
Maydegol
Ursprünglich wollte ich ja „Welt am Draht“ sehen. Aufgrund der Länge und weiterer Verpflichtungen trotz des anstehenden Feiertages entschied ich mich ins Haus der Jugend zu wechseln und mir „Maydegol“ anzusehen. Der 2023 entstandene Film zeigt eine junge Frau, die mit ihrer Familie von Afghanistan in den Iran eingewandert ist und nun versucht, dort zurecht zu kommen und sich eine Zukunft aufzubauen.
Sie wird begleitet auf ihrer alltäglichen Suche nach Möglichkeiten, ihre Zukunft zu gestalten. Dabei ist sie vielfältigen Widrigkeiten ausgesetzt, die auch häusliche Gewalt an ihr und ihrer Mutter durch den Vater umfassen. Sie arbeitet ohne das Wissen ihrer Eltern als Helferin auf einem Obstbaubetrieb.
Als Randnotiz waren hierbei für mich auch Szenen interessant, in denen sie neben der Apfelernte auch in einer dunklen mit vielen Hochregalen ausgestatteten Halle arbeiten muss. Nach und nach konnte der Zuschauer erkennen, dass hier Pilze angebaut und geerntet wurden. Ich hatte mir zuvor nie über die Kultivierung von Pilzen Gedanken gemacht.
Dabei klettert sie ohne Leiter oder andere Hilfsmittel in die Höhe. Diese athletischen Fähigkeiten resultieren aus dem harten Training, dem sie sich aussetzt: Maydegol trainiert intensiv die Kampfsportart Muay Thai. Ihr Ziel ist es in die afghanische Nationalmannschaft aufgenommen zu werden. Doch die Wahrscheinlichkeit, dies zu erreichen, schwindet zunehmend durch die Machtergreifung der Taliban. Maydegol trifft sich mit Freundinnen. Gegenseitig trösten und ermutigen sich die jungen Frauen, die alle in vergleichbar schwierigen Situationen leben. Der Film zeigt sie beim intensiven Training und folgt ihr auf ihrem Heimweg, den sie allein durch eine dunkle Steppe führt. Immer wieder fokussiert der Strahl ihrer Taschenlampe freilaufende Hunde, die eine potenzielle Bedrohung darzustellen scheinen. Erst wenn diese erkennbar den Rückzug antreten, also keine Gefahr mehr droht, richtet sie das Licht wieder auf ihren Weg. Diese Abfolge von Sequenzen bildet über weite Strecken das wiederkehrende Gerüst – beendet durch Audio-Aufnahmen der häuslichen Gewalt. Der Bildschirm ist schwarz, während die Zuschauenden Lärm, Wutgeschrei und Schmerzensschreien zuhören. Das klingt sehr rabiat und drastisch.
Es ist bedrückend wie beschwert das Leben der erst 19jährigen ist. Ab einem Punkt der Handlung ist die Mutter vor der exzessiven Gewalt gegen sie geflohen und die zurückbleibende Maydegol kümmert sich zusätzlich nun auch um ihre Geschwister. In einem Telefonat mit der Mutter sagt diese sich von ihrer Tochter und der Familie los. Was für eine zusätzliche Last! Trotz allen Ungemachs versucht Maydegol unverdrossen ihrem Ziel näher zu kommen und versucht daher sogar sich zu verheiraten, um behördliche Schwierigkeiten, die aus ihrer Situation als Afghanin im Iran resultieren, umgehen zu können.
Wiederholt gibt es eine Sequenz in der Maydegol Ruhe außerhalb der Stadt sucht. Sie treibt dort Sport und sucht sich dann immer Brocken von Geröll, die sie weit von sich schleudert. Diese Brocken symbolisieren die Probleme, denen sie sich auf diese Weise entledigen möchte. Es ist berührend, was die junge Frau alles versucht, um ihre Lage zu verbessern.
Der Film endet ohne, dass eine konkrete Entwicklung abzusehen ist, welchen Verlauf das Leben von Maydegol nehmen wird. Erfreulicherweise ist auch die Regisseurin Sarvnaz Alambeigi zugegen und ich bin perplex, da sich für mich nun erst herausstellt, dass der Film dokumentarisch ist. Mir fallen die beängstigen Mitschnitte der häuslichen Gewalt ein und es scheint in diesem Lichte übermenschlich, was die junge Frau alles auf sich nimmt.
Man kann Erleichterung im Publikum verspüren, als die Regisseurin berichtet, dass sie nach wie vor in Kontakt mit Maydegol ist und diese es nun geschafft hat, den Iran zu verlassen und nach Kenia ausreisen konnte und nun dort lebt. Es ist wohl als positive Entwicklung zu betrachten, dennoch erscheint es mir dennoch als sehr hart, nun allein auf sich gestellt zu sein, ohne den Rückhalt ihrer Freundinnen, die sie im Training im Iran durchaus hatte. Was für ein vergleichsweise schweres Schicksal und auch welcher Wille und Mut, dies als Chance zu begreifen!
Nachdem ich die Neuigkeit des dokumentarischen Charakters des Films verarbeitet hatte, rief ich mir den Film vor diesem Hintergrund erneut ins Gedächtnis – und stutzte innerlich: Gleich zu Beginn des Films klettert Maydegol einen sicher vier Meter hohen Zaun eines Firmengeländes hoch, zu dem sie sich Zutritt verschaffen will. Sie fordert, den Geschäftsführer zu sprechen, denn sie möchte dort arbeiten und lässt sich trotz eines lautstarken Disputs nicht abweisen. Selbst die Drohung, dass die Polizei verständigt wird, hält sie nicht ab. Dies schien mir gestellt zu sein. Am Mittwoch hatte ich Gelegenheit mit drei weiteren Zuschauenden zu sprechen, die bezüglich dieser Szene ebenfalls Bedenken äußerten.
Auch im Wikipedia-Eintrag zu diesem wird von Zweifeln bezüglich der Authentizität der familiären Gewalt geschrieben. Andererseits ist es auch schwer vorstellbar, dass es eine Möglichkeit gegeben hätte, dass sie die Gewaltausbrüche ihres Vaters hätte Filmen können.
FOTOS & ABBILDUNG Filmfest Osnabrück