ZUM 100. GEBURTSTAG VON HILMAR HOFFMANN
Hilmar Hoffmann: Seine 1979 erschienene Streitschrift „Kultur für alle“ hat die deutsche Kulturpolitik von Grund auf verändert. Als einer der ersten Politiker erkannte Hoffmann die Bedeutung von Kultur und Bildung für die Gesellschaft und forderte die Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten an Theatern, Bibliotheken und Museen. Standen bis dahin wenige Bildungsbürgerinnen und Bürger vor einem ausgestellten Gemälde, so sollten sich fortan viele mit ihren Kindern davor versammeln. Am 25. August hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert – ohne ihn gäbe es unseren Verein nicht, nicht die vielen anderen Initiativen in Deutschland, die sich um kulturelle und soziale Teilhabe von Menschen mit wenig Geld bemühen.
„Unter den Kulturpolitikern war er immer der Erste. Er war der jüngste Volkshochschuldirektor Deutschlands mit 26 Jahren in Oberhausen. Er gründete das erste deutsche Filmfestival, die Oberhausener Kurzfilmtage, er schuf das erste kommunale Kino in Frankfurt am Main, er erfand die Mitbestimmung am Theater, er entwickelte das erste Haus für alternative Kultur. Als Kulturdezernent in Frankfurt baute er die alte Oper wieder auf, sowie ein gutes Dutzend Museen, darunter die Kunsthalle Schirn, das Deutsche Filmmuseum, das Architekturmuseum am Mainufer. … „Kultur für alle“, diese klare Forderung machte ihn zum populären Kulturpolitiker, wahrscheinlich der erste populäre überhaupt, galt doch bis dahin Kulturpolitik im Wesentlichen als die Lehre vom Althergebrachten, Wahren, Guten, Schönen.“ (DeutschlandfunkKultur)
Auf die Frage, ob denn „Kultur für alle“ in unserer Gesellschaft durchgesetzt wurde, sagte er in einem Interview vor 20 Jahren – und würde wahrscheinlich heute wieder sagen: „Nein, ganz im Gegenteil. Das werde ich auch sagen, dass dies das große Ziel ist, das mir nicht gelungen ist, jedenfalls nicht quantitativ, vielleicht was die Bewusstseinsbildung in der Politik betrifft, ja. Aber wenn Sie davon ausgehen, dass nur zehn Prozent unserer Bevölkerung so genannte Kulturhabitués sind, also die in der Schule und auf der Uni gelernt haben, kulturelle Botschaften zu lesen und zu verarbeiten und umzusetzen in eigene Gedanken, dann sind wir hoffnungslos in der Statistik unten geblieben. Das heißt, Kultur für alle als Programm für die Zukunft ist nicht erledigt. Ich glaube, dass die Kulturpolitik zu spät ansetzt, nämlich im Erwachsenenalter. Solange es nicht erreicht wird, dass in der Schule ästhetische Erziehung – und zwar im Sinne der Schillerschen Briefe zur ästhetischen Erziehung des Menschen – und solange keine musische Bildung als selbstverständliches Kurrikulum im Stundenplan auftauchen, werden sie keine Klientel schaffen, die dann im Erwachsenenalter ins Theater oder ins Museum geht, um sich zu erfreuen oder andere auch um sich zu bereichern, um sozusagen Honig zu saugen aus den Leistungen der Kultur, der Philosophie, der Literatur, um selber darauf aufbauen zu können.“
Lassen wir also nicht nach, dieses tolle Ziel zu verwirklichen – bei uns in Osnabrück, in der Bundesvereinigung Kulturelle Teilhabe, in allen Initiativen, die „Kultur für alle“ Wirklichkeit werden lassen!
FOTO: Hilmar Hoffmann in seinem Arbeitszimmer in Frankfurt am Main, 2015 (imago/ Heike Lyding)